LRS

1. Daten zur LRS:

Bei ungefähr 15 % aller Schülerinnen und Schüler wird eine Lese-Rechtschreibstörung diagnostiziert. Dabei unterscheidet man drei Typen: die isolierte Rechtschreibstörung, die isolierte Lesestörung und
die kombinierte Lese-Rechtschreib-Schwäche. Die Lese-Rechtschreib-Schwäche wird besonders oft bei Jungen diagnostiziert. Ca. 43 % der 8 bis 13 Jährigen Betroffenen haben zusätzliche psychische Probleme. Davon haben ca. 15 – 20% Aufmerksamkeitsstörungen.

Viele weisen graphomotorische Probleme (kaum leserliche Handschrift) auf. Häufig weisen diese Kinder ebenfalls Sprachentwicklungsstörungen auf.

2. Hintergrund:

Beim Lesen und Schreiben lernen durchläuft jeder Schüler Entwicklungsstufen. Auch Kinder mit LRS durchlaufen diesen Entwicklungsprozess. Manche Kinder können auch zwischen 2 verschiedenen Stufen stehen oder auf 2 Stufen parallel. Der Förderansatz orientiert sich an der jeweiligen Entwicklungsstufe des Kindes!

3. Stufenmodell des Schriftspracherwerbs:

1. Logographische Entwicklungsstufe
In dieser Stufe merken sich die Kinder die Buchstaben in einer Reihenfolge (wortspezifische, lexikalische Speicherung).
Hier findet Schreiben als reiner Abrufprozess statt. Eine Konstruktion von unbekannten Wörtern ist hier nicht möglich.
(Beispiel: Mc Donalds wird als Wort erkannt und nicht erlesen.)

2. Alphabetische Entwicklungsstufe
Diese Stufe findet meist in der ersten Klasse statt. Hier lernen die Kinder die Laut-Buchstaben-Beziehungen, Lauterkennung, Lautunterscheidung und die lautgetreue Schreibung. Sie schreiben so wie sie hören. Beim Lesen werden einzelne Buchstaben zu einem Wort verbunden. Hier findet die konsonantische Skelettschreibungen (Bl statt Ball) statt. Buchstabenauslassungen und –umstellungen sind in dieser Phase normal.

3. Orthographische Entwicklungsstufe

Die orthografische Entwicklungsstufe beginnt  Mitte Klasse 1 und ist ab Klasse 4 voll entwickelt. Kinder internalisieren strukturelle Regelmäßigkeiten und erkennen Abweichungen vom Lautsprachlichen (Verlängerungsregel). Der Erwerb von Lernwörtern wird hier deutlich erleichtert. Die Kinder lernen und verstehen, wann sie ein Dehnungs-h schreiben müssen oder Konsonantenverdopplung vorkommen. Zuletzt überwiegt der Abruf von Lernwörtern über die Konstruktion der Wörter.

4. Morphematische  Entwicklungsstufe

Das Kind erkennt die Gliederung von Wörtern in Morpheme (Vorsilbe, Wortstamm, Endung). Buchstabenverbindungen und Lautsegmente werden automatisiert und  als Ganzes verarbeitet (Bsp: Vorsilbe ver). Dies stellt eine kognitive Entlastung für die Kinder dar, welches man daran erkennt, dass das Lesen und Schreiben schneller wird.

Kinder mit LRS
Kinder mit LRS durchlaufen ebenfalls die genannten Entwicklungsstufen nur oft viel langsamer (z. T. noch alphabetische Stufe in weiterführender Schule).
Sie brauchen oft besondere Hilfen beim Übergang von einer Stufe zur nächsten.

5. Informationsverarbeitung beim Lesen:

Komplexe Verarbeitungsprozesse beim Lesen
Unterschiede zwischen geübten, ungeübten Lesern werden deutlich
Informationen über Wörter sind vernetzt gespeichert (Orthographie, Phonologie, Bedeutungen) Wortbild aktiviert verschiedene sich überlappende Lautfolgen.
Bei geübten Lesern ist ein komplexeres Netz, sind größere Wortsegmente gespeichert. Dadurch ist das Lesen weniger störanfällig und fällt leichter.
Beispiel:
Geschriebenes Wort: Sprungbrett
Ein geübter Leser aktiviert  Segmente „sprung“; „brett“; schnelle Verarbeitung wenig geübter Leser aktiviert „sp“ , „br“ als Segmente
Leseanfänger liest Buchstabe für Buchstabe, produziert zunächst Gesamtlautbild
zu Beginn: genaues Lesen, häufiges Aktivieren der Verbindung von Lauten- und Buchstaben wichtig für spätere Verarbeitung in Segmenten.
Erst wenn einfache Prozesse (Buchstabe-Laut-Verknüpfung; Zusammenschleifen) automatisiert sind, sind Ressourcen frei für weitere Verknüpfungen „Netzbildungen“
-Verarbeitung von Wortsegmenten
-Bedeutungszugang

6. LRS Förderung:

6.1.Beispiele für Möglichkeiten der Handhabung:

Gemäß des Nachteilsausgleichs:

  • Möglichst individueller Förderunterricht
  • Kleingruppen
  • Reines Wiederholen bringt nichts!
  • Notenschutz (Grundschule)
  • Stärkeres Gewichten mündlicher Leistungen
  • Verbale Beurteilungen
  • Zeitbonus
  • Gut lesbare Arbeitsblätter
  • Günstiger Sitzplatz
  • Vorlesen der Arbeitsanweisungen (geht auch mit Hilfe einer Aufnahme)

LRS: grundsätzlich päd. Ermessen, Verkürzung, Lückendiktat, schriftliche Probearbeiten im Rechtschreiben kann auch ohne ziffernmäßige Benotung verbal beurteilt werden. Grundsätzlich darf bei LR-Schwächen die Rechtschreibleistung nur bei Leistungserhebungen, die der Feststellung
der Rechtschreibkenntnisse dienen, notenmäßig bewertet werden.
Von KANN-Bestimmungen soll auch dann großzügig Gebrauch gemacht werden, wenn Gutachten (noch) nicht vorliegen, ein deutlicher Förderbedarf aber erkennbar ist: KMS 25.2.00

  • bei verbaler Rückmeldung den Leistungsstand mit dem eigenen früheren Ergebnis vergleichen
  • Einsatz von Computern bei Hausaufgaben
  • Tafelbilder als Kopien ausgehändigt
  • Zeitzuschlag bei Klassenarbeiten, dabei ist die enge Kooperation aller Kollegen notwendig
  • in Mathematik, Nebenfächern, liest Lehrer Aufgaben

6.2.Zusammenfassung wichtiger Übungsprinzipien

6.2.1 Im Regelunterricht:

  • viele systematische Übungen, viel Struktur, viele  Wiederholungen von Regeln, Lernwörtern etc.
  • Ähnlichkeitshemmung vermeiden (z. B. nicht Wörter mit k und ck im Wechsel)
  • zum silbierendem Mitsprechen ermutigen, mehr Zeit bei Diktaten.
  • ermutigende Kommentare unter Arbeiten, kleinste Fortschritte loben, Vergleich mit der eigenen Vorleistung
  • Fehlerverbesserung: statt Abschreiben Wortfamilien, Reimwörter suchen, Sätze bilden etc.
  • Erarbeitung Grundwortschatz durch Präsentation von Merkwörtern (Karteikasten)

6.2.2. LRS-Fördergruppen bzw. interne Differenzierung:

  • häufig vorkommende Wörter, Regeln üben; Ausnahmen zunächst vernachlässigen
  • Arbeit nahe der „Null-Fehler-Grenze“ (Motivation; Gedächtnis)
  • Silbieren:
    • v. a. alphabetische Stufe des Schriftspracherwerbs
    • „Silbentanzen“: rhythmisches Silbieren (Schreiten,Sprechen, Schwingen)
    • geschriebene Texte mit Silbenbögen gliedern
    • Mitsprechen beim Schreiben mit Silbenpausen
    • Pilotsprache, genaues Mitsprechen
    • silbierendes Mitsprechen beim Schreiben
  • Morphemkonstanz – Unterscheidung von:
    • Stammmorphemen (kleb; lohn),
    • Präfixen (an; ver; be),
    • Suffixen (en)

Das Gleichbleiben des Stammmorphems kann für das Erlernen der Rechtschreibung genutzt werden (z. B. lohn immer mit h).

Vorteile:

  • Komplexität, Regelumfang wird reduziert
  • Verarbeitung von Wortteilen wird gefördert, Übergang auf die morphematische Entwicklungsstufe erleichtert
  • Marburger Rechtschreibtraining (Schulte-Körne, Mathwig, 2001)

6.3. Evaluation:

  • besonders hohe Effekte in Konsonantenverdopplung, allgemeiner Rechtschreibleistung
  • Verbesserung der Leseleistung
  • Selbstkorrektur sofort nach dem Schreiben des einzelnen Wortes
  • Fortschritte für die Schüler/innen visualisieren
  • Zentral ist ein systematisches Wiederholen, damit  Regeln, Lernwörter
  • automatisiert werden, nur dann ist ein sicherer, störungsfreier  Abruf aus
  • dem Langzeitgedächtnis möglich!

Hintergrund: Probleme im KZG (Kurzzeitgedächtnis) und beim Abruf aus dem LZG (Langzeitgedächtnis)

7. Häusliche Unterstützung

7.1. Allgemeines:

  • Diagnose anerkennen und mit dem Kind besprechen
  • Auf Stärken achten, fördern, hervorheben
  • Kleinste Erfolge loben
  • Qualität geht vor Quantität: nur kurze Übungen, dafür täglich
  • Für gute Lernatmosphäre sorgen
  • Schuldzuweisung und Vorwürfe vermeiden

7.2. Lernkartei

Hintergrund:

  • Wörter werden automatisiert, d. h. ohne Nachdenken auch im Diktat korrekt geschrieben
  • große Entlastung des auditiven Kurzzeitspeichers auch bei Kindern mit zusätzlichem ADHS

Vorteile:

  • Lernwörter werden „handhabbar“
  • Lernfortschritte auch für Schüler deutlich, anhand der weiter „wandernden“ Karten
  • regelmäßiges Diktieren von schwierigen Wörtern, zunächst in kurzen, dann in immer längeren Zeitabständen (Lernkurve)

Vorgehen:

neue Karteikarten ins Fach des aktuellen Wochentags
1. korrektes auswendig Schreiben: 1 Punkt auf die Karte; ein Wochentag weiter
2.  korrektes auswendig Schreiben: 2 Punkte auf die Karte; 2 
Wochentage  weiter zunehmende Wiederholungsabstände
6 Punkte: ins Fach gelernt
Sobald eine Falschschreibung, alle Punkte durchstreichen; von Neuem beginnen!
Wörter, die nicht geschafft ins Fach „zu üben“
Höchstens 10 Minuten pro Tag üben!

Evaluation:

  • Fehlerabnahme von 40 bis 70 %
  • nur 300 Wörter machen sehr viele Fehler aus, Training dieser Wörter ist besonders effektiv  (vgl. Tacke, 2007)
  • wichtiges Element auch im 10 Minuten Rechtschreibtraining von Tacke

7.3. Elternanleitung – Münzverstärkung  (Greiner 2005)

Häusliches Diktieren mit steigender Schwierigkeit

  • Schüler wird während des Schreibens zum Mitdenken angeregt
  • direkte Reaktion beim korrekten Schreibprozess (Münz-Tokensystem)
  • bei Fehler: noch während des Schreibvorgangs Signal, Kind streicht Wort durch, Trainer gibt Hinweise, sobald Kind nicht allein die Lösung erkennt (die Richtung)

8. Außerschulische Therapie

  • Nachhilfe
  • LRS-Therapie
  • Lerntherapie
  • Psychotherapie
  • Hilfe nach §35a SGB, wenn Schüler von seelischer Behinderung bedroht ist